Denn er, Rê, der, der aus sich selbst entstanden ist, lenkt alles Weltgeschick. Er segelt am Tage in seiner Sonnenbarke über den Himmel und steigt abends im schönen Westreich hinab in die Unterwelt, durch die er seine Nachtbarke lenkt, bis zum Erscheinen am nächsten Morgen.
Im Steinbruch von Assuan herrscht morgendliche Ruhe. Als hätten die Arbeiter erst gestern Abend Hammer, Meißel und Dioritkugel beiseite gelegt, deuten allerorts Schuttreste, Keilspuren und Bruchstücke auf rege Betriebsamkeit. Dazwischen liegt - riesenhaft und kolossal - ein halbfertiger Obelisk, die Vorderseite und Seitenwände bereits geglättet, nur mit der Unterseite noch nicht vom Fels gelöst. Die Szenerie erscheint so lebendig, dass man fast meint, noch den Hall der Hämmer und die Rufe der Aufseher vernehmen zu können, die hier vor 3.000 Jahren im Auftrag der Könige von Ägypten den Obelisken aus dem Granitgestein herausgearbeitet haben.
Seit dem Mittleren Reich waren die monumentalen Obelisken die Kultsymbole des falkenköpfigen Sonnengottes Rê. Stets aus dem rötlichen Assuaner Granit gefertigt, flankieren sie immer paarweise die Eingänge der ägyptischen Tempel. Vermutlich waren ihre Spitzen früher mit Elektron (einer Gold-Silber Legierung) belegt, so dass sie die Strahlen der Sonne weithin sichtbar reflektierten. Erhabenes Wahrzeichen und Ruheplatz des Rê, der sich auf ihnen niederlässt, wenn der erste Strahl der Sonne an Morgen auf ihn fällt.
Der Obelisk von Assuan hätte mit einer Länge von 41,75 Metern und einem Gewicht von 1170 Tonnen alle bisher bekannten Obelisken übertroffen. Zu spät erst erkannte man gravierende Risse im Gestein und musste deshalb die Arbeiten an dem bereits halbfertigen Obelisken aufgeben. Heute gibt uns dieser unfertige Obelisk, dieses Kuriosum, Aufschluss über die effektiven Arbeitstechniken und Verfahrensweisen der ägyptischen Steinmetze.